„Israelbezogener Antisemitismus“
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Der Vorwurf des Antisemitismus zieht sich durch die gesamte PSDU-Verbotsverfügung. Dabei stützt sich das NRW-Innenministerium auf die Antisemitismus-Arbeitsdefinition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) aus dem Jahr 2016. Die IHRA ist ein Zusammenschluss von derzeit 35 – fast ausschließlich westlichen – Staaten, dem u. a. Israel, die USA und Deutschland angehören.
Die IHRA-Definition und ihre Kritiker
Die Definition selbst umfasst nur zwei Sätze, und lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Beigefügt sind ihr allerdings 11 Beispiele, die nicht Teil der Definition sind, aber als solche behandelt werden. 7 davon beziehen sich auf den Staat Israel, wobei Juden und Israel de facto gleichgesetzt werden. U. a. wird dabei die Kritik, Israel sei ein rassistischer Staat, als antisemitisch bezeichnet.
Aufgrund dessen gibt es zahlreiche Kritiken an der IHRA-Definition. 2018 etwa erklärten 40 jüdische Gruppen aus Israel, Nordamerika, Europa, Neuseeland, Australien, Lateinamerika und Südafrika, sie diene dazu, „legitime Kritik an Israel und das Eintreten für die Rechte der Palästinenser*innen zu unterdrücken.“ Der israelische Philosoph Omri Boehm wies zudem darauf hin, dass die IHRA-Definition nach ihren eigenen Regeln antisemitisch sei, weil sie zum einen Doppelstandards bezüglich Israel als antisemitisch bezeichne, und zum anderen selbst Doppelstandards anlege, wenn sie Israel von jeglichem Rassismus-Vorwurf pauschal freispreche.
Als dezidierter Gegenentwurf zur IHRA-Definition wurde im Jahr 2021 die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus vorgelegt. Im Gegensatz zur IHRA-Definition wurde sie von 210 Wissenschaftlern erarbeitet, „die in der Antisemitismusforschung und in verwandten Bereichen arbeiten, darunter Jüdische Studien, Holocaust-, Israel-, Palästina- sowie Nahoststudien.“ Zudem wurde sie mittlerweile von hunderten weiteren internationalen Akademikern unterzeichnet.
IHRA-Definition und Einschränkung der Meinungsfreiheit
Auch Pläne, die IHRA-Definition im deutschen Recht festzuschreiben, wurden von Juristen kritisiert: Dies sei unvereinbar mit den Grundrechten auf Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sowie auf Asyl und führe zu einer Hierarchisierung in Bezug auf Diskriminierungsverbote.
Genau das zeigt sich in der Praxis: Wie das European Legal Support Center (ELSC) in einem Bericht über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Bezug auf Palästina in der EU und Großbritannien aufzeigt, wird dabei durchweg mit der IHRA-Definition gearbeitet. Auch in Deutschland werden Parolen wie „From the River to the Sea“ u. a. unter Verweis auf die IHRA-Definition kriminalisiert. Das PSDU-Verbot ist eine logische Fortsetzung dieser Politik.
[1] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus
[2] https://holocaustremembrance.com/who-we-are/member-countries
[3] https://www.disorient.de/magazin/ihra-arbeitsdefinition-antisemitismus-berlin-kultur
[4] https://www.juedische-stimme.de/weltweite-juedische-organisationen-bejahen-die-bds-bewegung
[5] https://qantara.de/artikel/interview-mit-dem-israelischen-philosophen-omri-boehm-die-republik-haifa-ein-staat-f%C3%BCr-alle
[6] https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf
[7] https://verfassungsblog.de/die-implementation-der-ihra-arbeitsdefinition-antisemitismus-ins-deutsche-recht-eine-rechtliche-beurteilung/
[8] https://res.cloudinary.com/elsc/images/v1685978238/The-Practice-of-Suppressing-Palestinian-Rights-Advocacy-FINAL-PP/The-Practice-of-Suppressing-Palestinian-Rights-Advocacy-FINAL-PP.pdf?_i=AA