„Antisemitische Narrative“

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Die Verbotsverfügung behauptet, PSDU habe „antisemitische Narrative verwendet und so Ressentiments gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie Jüdinnen und Juden allgemein (ge)geschürt“. Unter Verweis auf die IHRA-Definition (siehe Beitrag „Israelbezogener Antisemitismus“) werden als „Beweise“ Aussagen von PSDU aufgelistet, die die israelische und deutsche Politik kritisieren.

 

1.     „Kindermörder Israel“: Angeblich sei die Parole eine Neuauflage der sog. Ritualmordlegende. Dabei handelt es sich um eine antijüdische Erzählung aus dem christlich-europäischen Mittelalter, der zufolge Juden christliche Kleinkinder entführen und töten, um mit ihrem Blut Brot zu backen. Nur wenige christlich geprägte Europäer dürften diesen Mythos heute noch kennen. Sie Muslimen zu unterstellen, ist allerdings der Gipfel eurozentrischer Projektion. Daher haben auch Gerichte in Bremen, Hessen und NRW die Parole als nicht strafbar bewertet.

Im Übrigen ist es eine Tatsache, dass in Palästina Minderjährige häufig Opfer israelischer Gewalt werden: angefangen bei der Inhaftierung von Kindern (allein im Zeitraum 2000-18: 12.000) bis hin zur Ermordung Steine werfender Jugendlicher (allein im Zeitraum 2015-22: 8.700). Hinzu kommt, dass aktuell in Gaza ein Drittel der getöteten Kinder sind. Nicht umsonst wurde Israel kürzlich von der UNO auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt.

Wissenschaftler ordnen die Terrorisierung palästinensischer Kinder in die Strategie der schleichenden ethnischen Säuberung ein: Sie sollen von Klein auf eingeschüchtert und gebrochen werden. Diese Praxis folgt aus dem Narrativ der „demographischen Bedrohung“ – also der Angst vor einer palästinensischen Mehrheit, vor allem aufgrund höherer Geburtenraten. Öffentlich zelebrierte Mord- und Vernichtungsfantasien an palästinensischen Frauen und Kindern sind ebenfalls ein Ausdruck dessen.

2.     „Völkermord/Genozid“: Auch diese Begriffe werden als „Beleg“ angeführt, dass PSDU antisemitisch sei. Tatsächlich hat die Polizei die Begriffe seit Oktober immer wieder verboten, zensiert und angezeigt. Auch hier haben die Gerichte bislang im Sinne der Meinungsfreiheit entschieden.

Darüber hinaus sieht der Internationale Gerichtshof bekanntlich glaubhafte Anzeichen für einen Genozid in Gaza, weshalb aktuell nicht nur Israel wegen Völkermords auf der Anklagebank in Den Haag sitzt, sondern auch Deutschland wegen möglicher Beihilfe.

Auch andere UNO-Institutionen sowie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sehen Anzeichen für einen solchen Völkermord. Das Lemkin Institute for Genocide Prevention ist sogar davon überzeugt, dass ein Genozid in Gaza stattfindet. Zudem sprechen Wissenschaftler auch schon seit Jahren von einem schleichenden Genozid bzw. einer anhaltenden ethnischen Säuberung in Gaza bzw. Palästina.

3.     „Jüdische Weltverschwörung“: Die Autoren der Verbotsverfügung entblöden sich nicht, einem Sprecher von PSDU zu unterstellen, das Narrativ einer „jüdischen Weltverschwörung“ verbreitet zu haben, weil er von einer „reichen und mächtigen Minderheit“ sprach, die in Deutschland hinter Israel stehe. Dafür haben sie eine Rede, die sich ganz konkret auf Meinungsumfragen und Teilnehmerzahlen an Demonstrationen, auf große Medienhäuser, Stiftungen und Parteien bezog, selektiv zitiert. Um das ganze zu kaschieren, haben sie die Rede nicht in die Belege aufgenommen, damit ein Kritischer Leser der Verfügung sie sich nicht ansehen und ihre Manipulation durchschauen konnte.[17]

4.     „Judenboykott“: Die Unterstützung von PSDU für die BDS-Bewegung und ihr Aufruf zum Boykott israelischer Waren und Institutionen wird in der Verfügung in eine Reihe mit dem Judenboykott der Nazis gesetzt. Dieser Nazi-Vergleich wird von pro-israelischen Kräften standardmäßig angeführt, um BDS zu verteufeln, hat aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun: BDS beruft sich auf historische Boykotte wie den Busboykott der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und auf die Anti-Apartheid-Bewegung gegen das Siedlerregime in Südafrika.

Um zu suggerieren, PSDU habe tatsächlich jüdische oder israelische Geschäfte boykottiert, wird in der Verfügung über den „Boykott zweier Schnellrestaurant Filialen in Duisburg“ berichtet, die namentlich nicht genannt werden. Es handelte sich dabei allerdings weder um jüdische noch um israelische Geschäfte, sondern um McDonald’s und Burger King. Da die Verfügung an vielen Stellen manipulativ arbeitet, dürfte auch diese Formulierung kein Zufall sein.

5.     „Zionismus“: Die Verbotsverfügung behauptet, ohne einen Beleg anzuführen, PSDU habe den Begriff „Zionismus“ stellvertretend für „die Juden“ benutzt. Ironischer Weise sind es die Autoren des Verbots selbst und die von ihr genutzte IHRA-Definition, die Judentum und Zionismus gleichsetzen. PSDU hat dagegen in seinem Selbstverständnis unmissverständlich klar gemacht: „Wir lehnen die Gleichsetzung von Juden, Israelis und Zionisten ab. Diese Gleichsetzung ist antisemitisch und/oder zionistisch.“[19]


[1] https://www.psdu-verbot.info/blog/israelbezogener-antisemitismus

[2] https://www.aachener-zeitung.de/politik/politologe-david-ranan-die-gro%C3%9Fe-angst-ist-ubertrieben/4231181.html

[3] https://diefreiheitsliebe.de/politik/der-katechismus-streit-politischer-kontext-und-geschichtswissenschaftliche-verantwortung/

[4] https://www.oberverwaltungsgericht.bremen.de/gerichtsentscheidung-en/beschwerde-versammlungsrecht-teilweise-erfolgreich-24068?asl=bremen72.c.11265.de

[5] https://www.hessenschau.de/gesellschaft/demos-in-frankfurt-verwaltungsgerichtshof-verbietet-antisemitische-parolen-v1,kurz-vgh-urteil-zu-parolen-bei-demos-100.html

[6] https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2023/1_L_1011_23_Beschluss_20231117.html

[7] https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2018-2/keine-gnade-fuer-minderjaehrige

[8] https://www.hrw.org/de/news/2023/08/31/westjordanland-mehr-palaestinensische-kinder-durch-israelische-armee-getoetet

[9] https://aoav.org.uk/2023/are-the-gazan-casualty-figures-being-reported-reliable-two-conflict-experts-compared-the-numbers-to-previous-attacks-and-conclude-they-are-credible/

[10] https://www.haaretz.com/opinion/2024-06-09/ty-article/.premium/israel-is-on-the-un-blacklist-of-countries-that-harm-children-and-justifiably-so/0000018f-f8c6-d93d-abbf-faf7ecff0000

[11] Petra Wild: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina (Promedia 2013), S. 108.

[12] https://english.palinfo.com/o_post/T-shirts-with-images-urging-the-killing-of-Palestinians-latest-fashion-in-Israel/

[13] https://news.un.org/en/story/2024/03/1147976

[14] https://www.hrw.org/the-day-in-human-rights/2023/12/18?story=paragraph-7339

[15] https://x.com/LemkinInstitute/status/1795295046088221017

[16] https://www.deutschlandfunk.de/baruch-kimmerling-politizid-ariel-sharons-verbrechen-gegen-100.html

[17] Beitrag vom 25.11.2023 im Telegram-Kanal von PSDU, auf den zumindest aus Deutschland nicht mehr zugegriffen werden kann.

[18] http://bds-kampagne.de/faqs/

[19] PSDU-Grundkonsens im Telegram-Kanal von PSDU, auf den zumindest aus Deutschland nicht mehr zugegriffen werden kann.

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Apartheid und Kolonialismus

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Wieland Hoban (Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost) zum Verbot von PSDU