Die „Hamasifizierung“ des palästinensischen Widerstands
Über das Verhältnis von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) zur Hamas, wie es in der Phantasie des NRW-Innenministeriums und wie es in der Realität bestand, wurde bereits berichtet. Hier folgen nun zwei weitere Beispiele, die zeigen, wie sehr sich die Behörden in NRW auf die Hamas und auf eine angebliche Verbindung zwischen ihr und PSDU eingeschossen haben.
„Muqawama“
Dass PSDU in einem Post den Hashtag #muqawama benutzte, wird der Gruppe in der Verbotsverfügung ebenfalls als Bekenntnis zur Hamas ausgelegt: „Muqawama kann aus dem arabischen mit „Widerstand“ übersetzt werden. Es ist jedoch insbesondere auch Bestandteil des Namens der „Islamischen Widerstandsbewegung“ (arabisch: Harakat al-muqawama al-islamiya“), mithin der HAMAS. Im Libanon bezeichnet sich die Hizb Allah als „Islamischer Widerstand im Libanon“ („al-Muqawama al-Islamiya fi-I-lubnan“).“ Und weiter heißt es: „Herr Wystrychowski ist angehender Islamwissenschaftler, sodass davon auszugehen ist, dass ihm der Bezug des Hashtags klar gewesen ist und er diesen bewusst verwendet hat“ [Blatt 48].
Zunächst einmal ist anzumerken, dass – wie den Behörden bewusst war – neben dem „angehenden Islamwissenschaftler“ auch arabische Muttersprachler bei PSDU aktiv waren, weshalb unverständlich ist, wieso hier ausgerechnet auf einen Nicht-Muttersprachler Bezug genommen wird. Dabei liegen zwei Motive nahe: 1. Die gesamte PSDU-Verbotsverfügung arbeitet sich stark an der Person von Leon Wystrychowski ab und die Repressionsbehörden haben ihn offenbar besonders im Fokus. 2. Hier zeichnet sich ein Rassismus ab, der europäischen „Experten“ mehr Wissen über eine Religion, Kultur und Sprache zuschreibt, als den Menschen, die selbst aus dieser Kultur stammen, dieser Religion angehören oder diese Sprache als Muttersprache sprechen.
Weit hergeholt? Wohl kaum! Denn schon die Behauptung selbst, das Wort „Muqawama“ sei irgendwie islamisch konnotiert, ist nicht haltbar und zeugt von tief verankerten islamfeindlichen Stereotypen. Das Wort „kann“ auch nicht einfach „mit „Widerstand“ übersetzt werden“ – es bedeutet schlicht und einfach nichts anderes als Widerstand. Es ist das arabische Wort für Widerstand. So wird auch der „Deutsche Widerstand gegen die Nazis“ als „al-Muqawama al-almaniya li-l-naziya“ bezeichnet. Das, so könnte man auf den oben zitierten Satz in der Verbotsverfügung antworten, ist sowohl Leon Wystrychowski als auch allen anderen ehemaligen PSDU-Aktiven, die auch nur ein wenig Arabisch beherrschten, „klar gewesen“. Zumal PSDU stets das Recht der Palästinenser auf Widerstand/Muqawama/Resistance betont hat.
Jedem arabischen Wort jedoch, insbesondere solchen, die man kriminalisieren will, eine islamische Konnotation anzudichten, ist antimuslimischer Rassismus aus dem Lehrbuch: Alles Muslimische oder Arabische mit Religion zu „erklären“, ist ein beliebter Trick von Islamhassern.[1] Anderes sind wir allerdings vom Verfassungsschutz und von der CDU ohnehin nicht gewohnt.
Nebenbei: Tatsächlich hat der Begriff „Muqawama“ laut Dr. Imad Alsoos vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle, der zur Muslimbruderschaft und zur Hamas geforscht hat, ganz im Gegensatz zu dem, was das NRW-Innenministerium konstruiert, eine dezidiert säkulare Konnotation. Daher sei es gerade bemerkenswert, dass die Hamas als eine islamische Organisation diesen Begriff in ihren Namen aufgenommen hat.
Izz ad-Din al-Qassam
Am 29.11.2023 erschien eine extrem reißerische und rassistische antipalästinensische Reportage von Spiegel TV. Darin hetzten die Macher in unsäglicher Weise gegen das zuvor durch das Bundesinnenministerium verbotene Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun. Eine der dargestellten Szenen spielt in Duisburg, auf einer Demo von PSDU am 9. Oktober 2023. Damals hielt der ehemalige Deutschland-Koordinator von Samidoun, Zaid Abdulnasser, eine Rede auf Arabisch. In dieser Rede beruft er sich u. a. auf verschiedene historische Führungspersönlichkeiten der palästinensischen Nationalbewegung.
In dem Report wird ein kurzer Ausschnitt der Rede gezeigt und folgendermaßen übersetzt: „Sie haben vergessen, dass wir die Nachfahren von al-Qassam sind“. Danach endet die Übersetzung, obwohl Zaid weitere Namen aufzählt. Stattdessen wird von der Sprecherin aus dem Off nicht etwa erklärt, wer Izz ad-Din al-Qassam war, sondern schlicht auf die Qassam-Brigaden als militärischem Arm der Hamas verwiesen.
Dieses Propaganda-Video hat man offenbar auch beim Verfassungsschutz NRW gesehen – und war so begeistert, dass man es unbedingt kopieren wollte. So wird nicht nur die Rede von Zaid mitsamt dem verkürzten Zitat in der Verbotsverfügung von PSDU angeführt [Blatt 44], sondern auch auf eine Nachricht, die in eine interne Chatgruppe von PSDU weitergeleitet wurde. Darin sei „Izz El-Din Al-Qassam, der Namensgeber der Al-Qassam-Brigaden (militärischer Flügel der HAMAS) als Märtyrer glorifiziert“ worden [Blatt 51-52].
Was allerdings weder das NRW-Innenministerium noch Spiegel TV für erwähnenswert halten: Izz ad-Din al-Qassam war nie Mitglied der 1987 gegründeten Hamas. Er lebte nämlich von 1882 bis 1935, kämpfte im Ersten Weltkrieg für die Osmanen gegen die Franzosen und von 1931 bis 1935 in Palästina gegen die britische Kolonialmacht und die zionistische Bewegung. Er war auch nie Mitglied der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft, der Vorgängerorganisation der Hamas, sondern der panarabischen Unabhängigkeitspartei.[2] Er gilt als der erste, der in Palästina den antikolonialen Guerillakampf aufnahm, der nicht im Privat- oder Familien-, sondern im Nationalinteresse handelte, und der dadurch auch die unteren Volksschichten mobilisierte.[3] Daher galt und gilt er in Palästina als Volksheld. Viele palästinensische Widerstandsorganisationen, die in den 1950er Jahren entstanden, sahen sich in der Tradition al-Qassams.[4] Und die erste Organisation, die sich nach 1948 nach ihm benannte, war nicht der militärische Arm der Hamas, sondern eine links-nationalistische Widerstandsorganisation.[5] Zaid selbst wies auf einige dieser Punkte in einem Interview hin.
Eine Reduzierung des Namen al-Qassams auf die Hamas ist daher genauso falsch wie die von al-Aqsa (den islamischen Heiligtümern auf dem Tempelberg) auf die Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, von al-Quds (arab.: Jerusalem) auf die Al-Quds-Brigaden, von Salah ad-Din (Saladin) auf die Salah-ad-Din-Brigaden, die Bezeichnung „Löwe“ auf die Gruppe Arin al-Usud (arab.: Löwenhöhle) oder gar auf den syrischen Machthaber al-Assad (arab.: der Löwe) – oder von „Muqawama“ auf die Hamas und die Hizbullah. Auch hier zeigt sich: Das NRW-Innenministerium sieht alles Palästinensische, Arabische und Muslimische in kolonialer Manier durch eine rassistische und orientalistische Brille, durch die alles nach „Terror“, „Islamismus“ und „Gefahr“ aussieht.
[1] Kuhn: Antimuslimischer Rassismus (PapyRossa 2015), S. 40-41
[2] Schiller: Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie (Bernard & Graefe Verlag 1982), S. 104.
[3] Lüders: PLO (Fackelträger 1982), S. 28.
[4] Khalidi: Der hundertjährige Krieg um Palästina (Unionsverlag 2024), S. 137.
[5] Tophoven: Fedayin (Bundeszentrale für politische Bildung 1973), S. 15.