Lügen, manipulieren und verpfuschen

Bisher haben wir ausführlich dargestellt, wie das NRW-Innenministerium versucht, Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) Antisemitismus,[1] „geistige Unterstützung der Hamas“[2] und Verstöße gegen das Prinzip der Völkerverständigung[3] unterzuschieben. Dabei wurde deutlich, dass diese Zuweisungen nur mittels Unterstellungen und Manipulationen auskommen.

Allerdings erschöpft sich die Liste der Manipulationen in den bisher aufgelisteten Beispielen längst nicht.

 

Formfehler – und wieso sie wichtig sind

Das fängt schon bei den Formalia an. Bereits bei der so einfachen wie wichtigen Anforderung, Aussagen richtig zu belegen, haben die Autoren der PSDU-Verbotsverfügung gehörig ge- und verpfuscht.

Die Verbotsverfügung enthält genau 150 Fußnoten. Davon sind 88 Belege, die sich auf Anlagen in Form von angehängten Screenshots beziehen. (Das Behördenzeugnis des Verfassungsschutz ist hier ausgenommen, dazu weiter unten mehr). D. h. ein unkritischer Leser wird davon ausgehen, dass all diese Belege solide sind. Denn was kann so schwer sein, die richtigen Bilder zu verlinken? Und wer wäre so dreist, Angaben unter Bezug auf falsche Belege zu machen, die so leicht überprüft werde können? Antwort: Das NRW-Innenministerium.

 

Von den 88 vermeintlich soliden Belegen können nicht weniger als ein Drittel bis die Hälfte als ganz oder teilweise grob und formal fehlerhaft angesehen werden. Hinzu kommen weitere in ihrer Form stümperhafte und/oder manipulative Behauptungen. Eine unvollständige Liste von 29 konkreten Beispielen findet sich in der Klage gegen die Verbotsverfügung.[4] Dabei geht es häufig um Anlagen, die inhaltlich überhaupt nicht zu dem Satz, auf den sie sich beziehen, passen. Aber auch um offensichtlich manipulative Aussagen. Hinzu kommen weitere unwahre Behauptungen, für die erst gar keine Belege bemüht werden.

Möglicherweise hat man im NRW-Innenministerium gehofft, niemand würde sich die Anlagen anschauen. Das haben die Kläger und ihre Anwälte allerdings getan. Die mühevolle Arbeit hat sich durch die aufgedeckte hohe Fehlerquote ausgezahlt. Nicht zuletzt im Eilverfahren, wo es in besonderem Maße auch um formale Anforderungen geht, dürfte diese Pfuscherei, für die die Autoren bei jeder Schul- und Seminararbeit durchgefallen wären, eine Rolle spielen.

Im Folgenden ein paar Beispiele für besonders dreiste Lügen und Manipulationen aus der Verbotsverfügung, aber auch aus den Durchsuchungsbefehlen für die PSDU-Razzien:


1. PSDU wollte „Wut aufheizen“

In der Verbotsverfügung heißt es: „In einigen Beiträgen“ auf Social Media habe PSDU „sogar ausdrücklich geschrieben, dass Ziel der Aktionen sei, die „Wut“ der Menschen weiter aufzuheizen."[5] Dieser Satz ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Zunächst listet die an diese Behauptung angehängt Fußnote lediglich eine einzige Anlage an, nicht „einige“. Diese Anlage wird zudem nur betreffs eines einzigen Wortes („Wut“) zitiert. Es handelt sich um einen Bericht über eine Kundgebung, an der PSDU im Oktober teilgenommen hatte. In Bezug auf die angeführte Wut, die PSDU angeblich „weiter aufheizen“ wollte, steht dort in Wirklichkeit: „Man hat gemerkt, dass die Veranstalter ängstlich, die Menschen aber wütend waren. Wir haben mit Redebeiträgen und Sprechchören dazu beigetragen, dass die Stimmung kippt & die Leute ihre Wut offen herausschreien!“[6]

Hier wird deutlich, dass es nicht darum ging, Wut weiter anzufeuern, sondern darum, diffuse Furcht vor (z. T. gar nicht verhängten) Verboten und möglichen Repressalien zu überwinden und die bereits existierende Wut über die empfundenen Ungerechtigkeit zu kanalisieren – und zwar in friedlicher, nämlich verbaler Weise. In anderen Posts von PSDU wird immer wieder betont, dass die Stimmung auf verschiedenen Versammlungen „wütend, aber friedlich“, „laut, aber friedlich“, „kämpferisch, aber friedlich“ war.[7]

Diese Manipulation ist deshalb so relevant, weil für ein Vereinsverbot nicht nur die „Verfassungsfeindlichkeit“ an sich (die es bei PSDU auch nicht gab) ausreicht, sondern sie auch „kämpferisch-aggressiven“ Charakter tragen muss. Die Verfügung versucht in diesem manipulierten und manipulativen Absatz, PSDU genau diese „kämpferisch-aggressive“ Politik „nachzuweisen“.


2. PSDU wollte pro-zionistische Veranstaltung stören

Dasselbe dürfte auch für folgende falsche Behauptung gelten: „Am 15. September 2023 besuchte PSDU eine BDS-kritische Veranstaltung in Duisburg. Ziel war es (...) letztlich zu stören.“[8] „Belegt“ wird diese Behauptung in Fußnote 52 unter Verweis auf einen Bericht von PSDU, in dem aber unmissverständlich erklärt wird, dass es nicht darum ging, die Veranstaltung zu stören, schon allein deshalb, weil der Gruppe zuvor gar nicht bewusst war, dass es sich um eine „BDS-kritische“ Veranstaltung handelte. Die Verfügung liefert keinerlei Hinweis, dass es PSDU darum ging, die Veranstaltung zu stören. Es handelte sich also um eine unbelegte Unterstellung, der unter Verweis auf 9 Anlagen in manipulativer Weise Glaubhaftigkeit verliehen werden soll.[9]



3. PSDU wurde immer aggressiver

Im engen Zusammenhang mit dem ersten Beispiel steht auch das folgende: „Es ist ebenfalls zu erkennen, dass sich der Ton in den Beiträgen nach dem 7. Oktober 2023 deutlich verschärft hat.“[10] Die zugehörige Fußnote verweist auf drei Anlagen. Allerdings können diese Anlagen die vorangehende Behauptung gar nicht belegen, denn die angeführten Beiträge stammen vom 19. Oktober sowie aus November und Dezember. Ein Vergleich zwischen der Zeit vor dem 7.10.2023 und danach ist somit nicht möglich. Auch die Inhalte belegen keinerlei „Verschärfung“: Womöglich wird das Wort „Wut“ (aus dem 1. Beispiel),[11] der Bericht über einen umprovozierten Polizeiübergriff[12] oder aber die Freude darüber, dass im Dezember in Hamburg nach monatelangen Verboten erstmals eine legale Palästina-Demo stattfinden konnte,[13] als „Verschärfung“ interpretiert…



4. PSDU hat das rote Dreieck erfunden

Zu den fast schon witzigen Stellen in der Verbotsverfügung gehört die Fußnote 95, die zeigen soll, dass PSDU wiederholt das berüchtigte rote Dreieck benutzt hat. Zwei der drei angeführten Anlagen verweisen auf ein und denselben Text.[14] Die dritte Anlage verweist auf einen Beitrag von August 2023.[15] Der Widerstand benutzt das Dreieck aber erst seit Oktober 2023.


5. PSDU hat sich positiv auf die Hamas bezogen

Siehe hierzu den Beitrag zum Verhältnis von PSDU zur Hamas.[16]



6. PSDU hat das Narrativ der „jüdischen Weltverschwörung“ verbreitet

Siehe hierzu den Beitrag zu den angeblich von PSDU verbreiteten antisemitischen Narrativen.[17]

 

7. PSDU hat konspirative Treffen abgehalten

In dem „Behördenzeugnis“ (Geheimdienstbericht) des Verfassungsschutzes (VS) wird behauptet, PSDU habe wiederholt „konspirative“ Treffen abgehalten.[18] Laut Duden bedeutet „konspirativ“: „geheim, gesetzwidrig, illegal, im Untergrund arbeitend“.[19] Damit soll offenbar die Gefährlichkeit von PSDU unterstrichen und die teure, von Steuern bezahlte Geheimdiensttätigkeit des VS legitimiert werden. Leider ist auch diese Behauptung falsch.

Gemeint sind nämlich die offenen Treffen und die Lesekreise von PSDU. Beides wurde – wie den Behörden bekannt war – regelmäßig mit Wochentag, Datum und Uhrzeit öffentlich beworben.[20] Lediglich der Ort wurde auf Anfrage herausgegeben, um sich vor politischen Gegnern, Störern und Stalkern zu schützen. Sowohl bei den Treffen als auch den Lesekreisen waren regelmäßig neue Interessierte dabei. Dass es nicht darum ging, die eigenen Treffen vor dem Staat geheim zu halten, zeigt schon die Tatsache, dass sich die Gruppe bis Oktober 2023 ganz offiziell unter dem Namen Palästina Solidarität Duisburg in einem städtischen Gebäude traf.

Den Mythos von der „konspirativen PSDU“ fanden die Behörden aber offenbar so genial, dass sie ihn auch für die Begründungen der Hausdurchsuchungen nutzten.[21] Dabei legten sie allerdings noch einmal ein paar Lügen oben drauf. Denn sie behaupteten, am 7.12.2023 habe ein „konspiratives Treffen“ zwischen PSDU und der zu dem Zeitpunkt in Deutschland bereits verbotenen Organisation Samidoun gegeben. In Wahrheit handelte es sich 1. gar nicht um ein Treffen, sondern um eine öffentliche und öffentlich (mit Datum, Uhrzeit und Ort) beworbene Veranstaltung. 2. War diese Veranstaltung nicht von PSDU organisiert, sondern vom Duisburger Bündnis Heizung, Brot und Frieden. 3. Leon Wystrychowski und Zaid Abdulnasser waren gar nicht als Vertreter von PSDU bzw. Samidoun geladen, sondern als Referenten und Einzelpersonen. Und schließlich wurde diese Veranstaltung 4. von einer Einsatzhundertschaft der Polizei begleitet, die sie kurzerhand als „Versammlung in geschlossenen Räumen“ einstufte und darauf bestand, dass Beamte des Staatsschutzes teilzunehmen hatten.[22] Weniger konspirativ geht wohl kaum.

 

8. PSDU hat verbotene Kennzeichen verbreitet

Die fälschliche Behauptung, PSDU habe „wiederholt“ Kennzeichen der Hamas verwendet, wurde bereits an anderer Stelle widerlegt.[23] Allerdings muss die Verfügung ohnehin zugleich einräumen, dass zu dem Zeitpunkt, als PSDU dies angeblich getan hatte, eine Verwendung von Hamas-Kennzeichen in Deutschland noch nicht strafbar gewesen wäre.[24]

Ganz anders sieht es mit einer ähnlichen Unterstellung aus, die in den Durchsuchungsbeschlüssen gegen die von den PSDU-Razzien Betroffenen getätigt wird: Dort wird behauptet, PSDU habe am 22. April 2024 ein Logo von Samidoun im Internet verbreitet, was zu diesem Zeitpunkt bereits strafbar gewesen wäre. Eine offene Lüge: Auf dem inkriminierten Foto ist keineswegs das Logo der Hirak-Jugendbewegung zu sehen, wie in dem Durchsuchungsbefehl behauptet wird, sondern lediglich eine Faust in den palästinensischen Nationalfarben.[25]

 

 

[1] https://www.psdu-verbot.info/blog/israelbezogener-antisemitismus und https://www.psdu-verbot.info/blog/antisemitische-narrative

[2] https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-als-hms-unterstutzer

[3] https://www.psdu-verbot.info/blog/nrw-innenministerium-vs-vlkerrecht und https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-gegen-vlkerverstndigung

[4] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671e5dda3552f2615947a3f/1718740447145/Klage-Eilverfahren-gegen-Verbot-PSDU.pdf S. 49-54

[5] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 59

[6] Auf den Bericht können wir an dieser Stelle leider nicht verweisen, weil die Social Media-Accounts von PSDU mittlerweile in Deutschland gesperrt sind. Er kann aber in der Anlage 37 in der Verbotsverfügung nachgelesen werden. https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 109

[7] Leider können die Beiträge hier aufgrund der gesperrten Social Media-Accounts von PSDU nicht verlinkt werden.

[8] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 35

[9] Der Bericht kann in den Anlagen 15-24 in der Verbotsverfügung nachgelesen werden. https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 87-96

[10] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 42

[11] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 109

[12] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 115

[13] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 189

[14] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 199-200

[15] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 226.

[16] https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-als-hms-unterstutzer

[17] https://www.psdu-verbot.info/blog/antisemitische-narrative

[18] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 247

[19] https://www.duden.de/rechtschreibung/konspirativ#google_vignette

[20] Beispiele für diese Einladungen können in den Anlagen 2-7, 76-82 in der Verbotsverfügung nachgelesen werden. https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 74-79, 149-155.

[21] Die Durchsuchungsbeschlüsse werden wir ins Kürze online stellen.

[22] https://www.jungewelt.de/artikel/465450.repression-wir-werden-uns-das-nicht-gefallen-lassen.html

[23] https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-als-hms-unterstutzer

[24] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 51

[25] Leider können die Beiträge hier aufgrund der gesperrten Social Media-Accounts von PSDU nicht verlinkt werden.

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Tobias Baumann (Freidenker Berlin) gegen das Verbot von PSDU

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Die „Hamasifizierung“ des palästinensischen Widerstands