Kontaktschuld wirkt!
Wie bereits dargelegt, machen die Repressionsbehörden in NRW im Verbot gegen Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) ausgiebig von dem Instrument der Kontaktschuld gebrauch.[1] Dass sie das in ihrer Erwiderung auf den Antrag auf das Eilverfahren[2] leugnen, wird durch die Realität konterkariert: Zum einen wenden sie in ihrer Erwiderung selbst erneut das Kontaktschuld-Konstrukt an. Zum anderen wurde die interessierte Öffentlichkeit am vergangenen Mittwoch Zeuge, dass dieses Werkzeug selbst vor Gericht mit Erfolg eingesetzt wird.
Meinungsfreiheit? Jein!
In Düsseldorf fanden am Mittwoch, den 25.9.2024 zwei Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht (AZ: 18 K 3322/24, Duisburg und 18 K 8760/23, Düsseldorf)[3] statt. Dabei ging es jeweils um Klagen gegen Auflagen, die in Duisburg bzw. Düsseldorf bei pro-palästinensischen Versammlungen von der Polizei erteilt worden waren. Die Gegenseite gestand ein, dass die Verbote von Aussagen oder Begriffen wie „israelische Verbrechen im Gazastreifen“ „Genozid“, „Völkermord“, „Kindermörder Israel“ und „Yalla Intifada“ falsch waren. Sie trägt daher in dem einen Fall zwei Drittel, in dem anderen Fall drei Viertel der Verfahrenskosten. Die Anwaltskosten dagegen bleiben vollständig bei den Klägern hängen. Und eine Entschädigung für die Betroffenen, deren Grundrecht auf Meinungsfreiheit von der Staatsgewalt verletzt wurden, gibt es nicht. Ebensowenig haben die verantwortlichen Behörden, die dieses Grundrecht eingeschränkt haben, irgend etwas zu befürchten. Das ist auch der Grund, weshalb die Polizei nach Lust und Laune derartige Verbote verhängt und auch sonstige Rechtsbrüche immer wieder begeht – denn am Ende ist es nicht ihr Problem, wenn ein Gericht hinterher feststellt, dass sie rechtswidrig gehandelt hat.
Außerdem müssen die Kläger jeweils einen Teil der Verfahrenskosten tragen, weil das Gericht das Verbot der Parole „From the River to the Sea Palestine will be free“ für rechtens hielt.
Ausschlagend: Kontaktschuld
Bei der rechtlichen Bewertung dieser Parole wird, wie viele mittlerweile wissen dürften, in der Regel auf den „Einzelfall“ verwiesen.[4] Zudem endeten die meisten Strafverfahren wegen der Parole mit Einstellungen oder Freisprüchen – die Ausnahmen sind je ein Fall in Duisburg[5] und in Berlin,[6] bei denen die Betroffenen allerdings Berufung eingelegt haben –, während die Verwaltungsgerichte bisher urteilten, dass ein Verbot wegen des „Anfangsverdachts einer Straftat“ zulässig sei, selbst wenn hinterher festgestellt würde, dass es keine Straftat war. So entstand ein unheilvolles Spannungsfeld aus Verboten und Freisprüchen, das der Polizei letztlich einen breiten Handlungsspielraum für Repression und Willkür verschaffte.
In Düsseldorf nun nutzte die vorsitzende Richterin den Kontaktschuldvorwurf, um zu begründen, wieso in diesen beiden Fällen ein Verbot angeblich angebracht war – was zugleich andeutete, dass sie ohne diese Kontaktschuld womöglich anders geurteilt hätte, was angesichts der Umstände allerdings unglaubhaft ist. Im Duisburger Fall ging es um eine Kundgebung vor dem Duisburger Amtsgericht in Solidarität mit dem damaligen Angeklagte und PSDU-Mitglied Leon Wystrychowski, der damals wegen der Parolen „From the River to the Sea Palestine will be free“ und „Von Duisburg bis nach Gaza Yalla Intifada“ vor Gericht stand. Diese Versammlung wurde von einer Einzelperson angemeldet.
Im anderen Fall ging es um eine Demonstration, die mit PSDU nichts zu tun hatte. Dem Anmelder und Kläger wurde allerdings – unter Nutzung von Fotos und Videos – vorgehalten, er habe Personen von PSDU auf einigen seiner Versammlungen reden und Sprechchöre anstimmen lassen. Dabei gestand die Richterin zwar ein, dass in den Wortbeiträgen der PSDU-Aktivisten nichts Illegales gesagt wurde. Sie verwies allerdings auf das PSDU-Verbot, dessen schwache Begründung sie offenbar kennt und von dem sie weiß, dass es derzeit gerichtlich angefochten wird. Sie nahm dieses Verbot als gesetzt und bezog sich darauf, um zu behaupten, dass PSDU „gefährlich“ sei.
Und nun griff eine Kontaktschuld-Kette, vor der wir als Komitee, aber auch die Betroffenen bereits gewarnt haben: Die beiden Kläger hatten jeweils irgendwie Kontakt zu PSDU; PSDU wiederum war selber „gefährlich“, hatte aber vor allem auch Kontakt zu Samidoun. Daher sei die Parole in diesen beiden Fällen im Sinne bzw. als Symbol von Samidoun und Hamas zu werten. Kontaktschuld wie aus dem Lehrbuch!
Behörden beobachten das Komitee
Ein weiteres interessantes Detail: Die Behörden in NRW verfolgen offenbar aufmerksam die Aktivitäten vom Komitee gegen das PSDU-Verbot. So wurde die Website des Komitees als Quelle während der Verhandlungen genutzt und die vorsitzende Richterin, die zufällig auch die skandalösen und auf Lügen aufgebauten Durchsuchungsbefehle gegen die vier Betroffenen PSDU-Mitglieder unterzeichnet hatte, wusste, dass sie im zu dem Zeitpunkt letzten Beitrag des Komitees (nicht namentlich) kritisiert wurde.[7] Mittlerweile ist noch ein neuer Beitrag erschienen, in dem ein weiteres skandalöses Detail aus den Durchsuchungsbefehlen angesprochen wird. Auch hier wird die Richterin dafür kritisiert, dass sie ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen ist, als sie die Razzien abgesegnet hat.[8]
Wir sind natürlich stolz, dass unsere Arbeit so gewürdigt wird und hoffen, dass auch andere Akteure mit unseren Publikationen arbeiten. Freuen würden wir uns allerdings vor allem, wenn die verantwortlichen Behörden und insbesondere die Richterinnen und Richter unsere Arbeit nicht nur verfolgen und unsere Texte lesen, sondern sich die genannten Fakten, Argumente und Kritiken auch zu Herzen nehmen würden. Die auf Kontaktschuld basierenden Urteile von Mittwoch lassen leider das Gegenteil befürchten. So scheint es zumindest auf Seiten derjenigen Richterinnen und Richter, die unmittelbar in die Repression einbezogen sind – ob dadurch, dass sie fadenscheinige Razzien[9] genehmigen oder dass sie, wie im Fall von Leon Wystrychowski, Strafbefehle ausstellen, die sie dann im Gerichtsverfahren einfach bestätigen – wenig Bereitschaft zu geben, eigene Fehler einzugestehen. Dabei wäre es höchste Zeit, dass die Richter in diesem Land das immer offensichtlicher werdende verfassungsfeindliche Vorgehen der Exekutive in die Schranken weisen.
[1] https://www.psdu-verbot.info/blog/lboy2zigru07d71gikypmt0u9maqkq
[2] Das Statement des NRW-Innenministeriums wird in Kürze online gestellt werden.
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article253707946/Antiisraelischer-Slogan-Gericht-untersagt-Verwendung-der-Parole-From-the-river-to-the-sea.html
[4] https://www.unsere-zeit.de/die-umstaende-des-einzelfalls-4793381/
[5] https://www.jungewelt.de/artikel/473101.repression-gegen-pal%C3%A4stina-bewegung-f%C3%BCr-freiheit-verurteilt.html
[6] https://www.jungewelt.de/artikel/481205.from-the-river-to-the-sea-ein-schwarzer-tag-f%C3%BCr-die-meinungsfreiheit.html
[7] https://www.psdu-verbot.info/blog/lboy2zigru07d71gikypmt0u9maqkq
[8] https://www.psdu-verbot.info/blog/von-guten-und-bsen-quellen
[9] https://www.psdu-verbot.info/blog/bericht-hausdurchsuchungen-psdu