Von „guten“ und „bösen“ Quellen
In einem unserer letzten Beiträge haben wir bereits aufgezeigt, dass es das NRW-Innenministerium (IM NRW) mit Belegen und Quellen nicht so eng sieht, jedenfalls dann nicht, wenn es darum geht, seine eigenen haltlosen Unterstellungen und Vorwürfe zu untermauern.[1]
Tatsächlich erweckt die Verbotsverfügung gegen Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) beim Lesen den Eindruck, dass man in der Behörde entweder überhaupt keine Ahnung hat, wie Belege funktionieren – oder aber, dass Herbert Reul (CDU) und seine Untergebenen wirklich an allen Ecken und Enden bewusst lügen und manipulieren, in dem Glauben, dass die Betroffenen, ihre Anwälte, die Richter und die interessierte Öffentlichkeit so dumm und naiv sind, dass sie es nicht bemerken.
„Neutrale Quellen“
In der PSDU-Verbotsverfügung heißt es, PSDU beziehe „einen Teil seiner Informationen“ aus „Quellen, die nicht neutral agieren“.[2] Dieser Satz ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
1. Es gibt kein Verbot, sich „einseitig“ zu informieren – das NRW-Innenministerium mit seinen zur Schau gestellten klar anti-palästinensischen und tendenziell rechtsradikal-zionistischen Positionen[3] ist dafür das beste Beispiel. Ein weiteres Beispiel sind die deutschen Mainstream-Medien, die derart einseitig und verfälschend über die Lage in Palästina berichten, dass mittlerweile die Hälfte der Deutschen ihnen bei diesem Thema „wenig“ bis "gar nicht“ mehr vertraut.[4]
2. Kein Medium und keine Quelle ist neutral. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk beansprucht für sich nicht, neutral zu sein: „Es wird manche überraschen, aber das steht so nirgends. (…) Liest man sich aber die juristischen Grundlagen für die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch, dann taucht das Wort "neutral" gar nicht auf. Aus guten Gründen, weil das Wort "neutral" auch ein wenig nebulös ist“, so liest man etwa beim SWR.[5] Medien berichten bestenfalls sachlich, fundiert, vielseitig und reflektiert.
3. Der Satz ist also nicht falsch, zumal dort lediglich über „einen Teil“ der Quellen, auf die sich PSDU bezogen habe, gesprochen wird. Dadurch aber ist der Satz inhaltlich so korrekt wie allgemein und damit letztlich nichtssagend. Die Intention ist klar: Die Autoren wollten sich davor hüten, eine offensichtlich unhaltbare Aussage zu treffen, gleichzeitig aber ein (weiteres) negatives Werturteil gegen PSDU einbringen. Das nennt man Manipulation.
Quellen, Medien, Literatur … alles dasselbe
Die Verbotsverfügung vermag nicht, zwischen verschiedenen Quellenformen zu unterscheiden: „Im Journalismus werden als Quellen sämtliche Orte und Personen bezeichnet, von denen Informationen stammen: Interviewte, Agenturen, Archive, Sammlungen sowie Publikationen und nicht veröffentlichte Dokumente.“[6] Für all diese verschiedenen Quellen gelten unterschiedliche Normen. In der Geschichtswissenschaft dagegen wird scharf zwischen (den ursprünglichen, zu interpretierenden) Quellen auf der einen und der (im Nachhinein verfassten, selbst bereits interpretierenden) Sekundärliteratur auf der anderen Seite unterschieden.[7]
In der PSDU-Verbotsverfügung wird all das in einen Topf geworfen, um der Gruppe bzw. ihren ehemaligen Mitgliedern dann vorzuwerfen, „nicht neutral agierende“ Quellen konsumiert zu haben. Unter anderem geht es dabei um das Resistance News Network,[8] dem das NRW-Innenministerium vorwirft, „in der Vergangenheit führende HAMAS-Funktionäre interviewt“ zu haben[9] – ein „Vorwurf“, den man gegenüber zahlreichen anerkannten arabischen, europäischen, amerikanischen und sogar israelischen Medien erheben könnte. Schließlich handelt es sich bei der Hamas um einen wichtigen politischen Akteur, die Regierung des Gazastreifens und sie gilt in den allermeisten Ländern der Welt als normale politische Partei.[10]
Als eine andere Quelle wird die in der Westbank gegen die illegale[11] israelische Besatzung kämpfende Gruppe Lions’ Den ausgemacht. Hier wird deutlich, dass das NRW-Innenministerium nicht in der Lage ist, zwischen Nachrichtenplattformen und -agenturen einerseits und politischen Akteuren andererseits zu unterscheiden. Noch dazu klassifiziert das IM Lions’ Den eigenmächtig als „terroristisch“,[12] womit es sich (wieder einmal) die israelische Politik zu eigen macht, ohne dafür eine deutsche oder auch nur EU-rechtliche Grundlage zu haben.
Quellen, Bildquellen … egal!
Noch peinlicher wird es für das NRW-Innenministerium, wenn es darum geht, Informations- und Bildquellen auseinanderzuhalten. Denn sämtliche oben angeführten Punkte beziehen sich in der Realität gar nicht auf Quellen, die PSDU in seinen Veröffentlichungen als Belege für inhaltliche Aussagen angegeben hat. Der einleitende Satz zu diesem Quellen-Absatz in der Verbotsverfügung lautet viel mehr: „Bemerkenswert sind zudem die Quellen, von denen PSDU die Bilder (…) bezieht.“[13]
Gründe für die Auswahl von Bildern sind bekanntlich gänzlich andere als solche für die Auswahl von inhaltlichen Informationen: Dabei geht es nicht zuletzt um Kriterien wie Ästhetik und Bildsprache, aber auch um Bildrechte. Von der Auswahl eines Bildes oder gar von der Bildquelle auf den Inhalt eines Textes und die diesem zugrunde liegenden Quellen zu schließen, ist vollkommen unzulässig. Diese Praxis rundet allerdings das Bild vom NRW-Innenministerium als vollkommen unfähig oder aber unverschämt im Umgang mit Fakten und Belegen ab.
Verbot wegen dem Konsum von „Feindmedien“
Fassen wir zusammen: Das IM NRW führt also den Konsum ihm nicht genehmer Quellen als Teil der Verbotsbegründung an. Dabei ist der Konsum von Medien, selbst solcher, die in Deutschland gesperrt sind, wie etwa Russia Today oder Resistance News Network, nicht illegal. Genauso wenig wie der Konsum von Veröffentlichungen von in der Bundesrepublik verbotenen Organisationen wie Hamas oder Samidoun.
Der Konsum von „Feindsendern“ wurde in Deutschland mit Beginn des Zweiten Weltkriegs unter Strafe gestellt. Diese „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“[14] der Nazis wurde 1946 vom Alliierten Kontrollrat offiziell aufgehoben.[15] Heute gilt in Deutschland das in Artikel 5 des Grundgesetzes verbriefte Recht aller, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“.[16] Das schließt den Konsum von Originalquellen, die nicht bereits durch Medien gefiltert und interpretiert wurden, eindeutig mit ein.
Razzien wegen Nachrichtenmeldungen
Nicht nur die Verbotsverfügung ist von derlei grundgesetzwidrigen Begründungen durchzogen. Sie finden sich auch in den Durchsuchungsbeschlüssen gegen mehrere ehemalige PSDU-Mitglieder.[17] Die Razzien wurden u. a. damit begründet, dass PSDU auf Instagram einen Beitrag der Nachrichtenplattform MintPressNews geteilt hatte, die die Überschrift trug: “Hamas welcomes the UN Security Council Resolution and calls for implementation“ (dt: „Hamas begrüßt die Resolution des UN-Sicherheitsrats und ruft zu ihrer Umsetzung auf“).[18] Bei dem inkriminierten Beitrag, der nach wie vor bei Instagram zu finden ist,[19] handelte es sich um eine Nachrichtenmeldung vom 25. März 2024. Die zitierte Überschrift war dabei übrigens wortwörtlich deckungsgleich mit der der entsprechenden Reuters-Meldung vom selben Tag.[20]
Hier wurde also das kommentarlose Verbreiten einer Nachrichtenmeldung – noch dazu einer, in der es um die Anerkennung eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates ging – als Grund für mehrere Hausdurchsuchungen herangezogen. Dabei ist besonders brisant, dass diese Durchsuchungsbeschlüsse im Gegensatz zum PSDU-Verbot nicht einfach vom Innenministerium exekutiert, sondern von einer Richterin unterzeichnet wurden.
[1] https://www.psdu-verbot.info/blog/lgen-manipulieren-und-verpfuschen
[2] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 41
[3] https://www.psdu-verbot.info/blog/nrw-innenministerium-vs-vlkerrecht
[4] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/berichterstattung-gaza-100.html?s=08
[5] https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/muss-der-oeffentlich-rechtliche-rundfunk-neutral-sein-106.html
[6] https://deutschejournalistenakademie.de/journalismus-lexikon/quelle/
[7] https://uni-tuebingen.de/en/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/seminareinstitute/osteuropaeische-geschichte/studium-alt/online-tutorium/wissenschaftliches-lesen/
[8] https://www.unsere-zeit.de/eine-zensur-findet-statt-4795106/
[9] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 41
[10] https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-als-hms-unterstutzer
[11] https://www.tagesspiegel.de/internationales/lage-im-uberblick-besatzung-illegal-un-gericht-bringt-israel-in-misskredit-12057155.html
[12] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 41
[13] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 41 (Hervorhebung Komitee)
[14] https://ghdi.ghi-dc.org/sub_document.cfm?document_id=1580&language=german
[15] https://www.verfassungen.de/de45-49/kr-gesetz11.htm Artikel II e)
[16] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/75-jahre-grundgesetz/artikel-5-gg-2267596#:~:text=(1)%20Jeder%20hat%20das%20Recht,Eine%20Zensur%20findet%20nicht%20statt.
[17] https://www.psdu-verbot.info/blog/bericht-hausdurchsuchungen-psdu
[18] Die Durchsuchungsbeschlüsse werden wir ins Kürze online stellen.
[19] https://www.instagram.com/p/C48yEjNLSNN/?utm_source=ig_web_copy_link&igsh=MzRlODBiNWFlZA==
[20] https://www.reuters.com/world/middle-east/hamas-welcomes-un-security-council-resolution-calling-gaza-ceasefire-2024-03-25/